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Pilotprojekt:

"Schule als lernendende Organisation" oder "wie aus `Losen Enden´ ein Ganzes wird"

Antrag zur finanziellen Förderung der Entwicklung und Erprobung eines Konzeptes der Schulentwicklung als Prozeß systemischer Organisationsentwicklung an einer Grund- und Hauptschule

Stuttgart im November 2006

Vorgelegt von:

Dipl.-Psych. Marianne Weigmann

Pilotprojekt, Summery:

Die Förderung sichert den begonnenen Prozeß der Grund- und Hauptschule auf ihrem Weg zur Lernenden Organisation. Mit der fachlichen Unterstützung durch systemische Prozeßbegleitung hat sie gute Voraussetzungen, in dem Dilemma von hierarchischer Struktur und neuen Anforderungen zur Selbstorganisation produktive Lösungen zu erarbeiten. Lösungen, die sich in neuen angemessenen Prozessen und Strukturen ausdrücken, in denen die Heterogenität und Vielfalt der Lehrerpersönlichkeiten als Ressourcen begriffen und genutzt werden und die Einzelkämpfermentalität aufgegeben, überwunden werden kann. Sie sichert auch einen adäquaten Einstieg in die zukünftig geforderte Praxis zur (Selbst-) Evaluation, die nicht nur an dieser Schule als ein Damoklesschwert der Kontrolle gesehen wird und mit Angst besetzt ist. Die Förderung trägt außerdem dazu bei, dass Inhalte entwickelt werden, die auf Prozesse zur Schulentwicklung an anderen Schulen übertragbar sind und diesen zur Verfügung gestellt werden können.

Ausgangslage

Seit dem Pisa – Schock hat sich das Anforderungsprofil an die Schulen deutlich geändert. Die neuen Anforderungen verweisen sehr deutlich auf Elemente der Selbstorganisation: Entwicklung eines schuleigenen Profils und Curriculums; offenere Bildungspläne, deren Umsetzung Eigeninititative, aber auch Zusammenarbeit und Teamarbeit jahrgangs- und fächerübergreifend erfordern; Die Anforderung zur Selbst- und Fremd - Evaluation und schließlich eigene Budgetverantwortung. Erstmalig in der Nachkriegszeit trägt die Kultusbehörde – ob bewußt oder unbewußt – der Tatsache Rechnung, dass die Schule eine Expertenorganisation ist. Expertenorganisationen können nicht hierarchisch strukturiert und geführt sein, dies ist auch pädagogischer – bildender wie erzieherischer – Arbeit fremd. LehrerInnen haben diese Diskrepanz immer gespürt und ihre eigenen individuellen (Unterlaufungs-) Strategien und Lösungen entwickelt.

Das Deutsche Nachkriegsschulsystem hat mit seinem strengen hierarchischen Aufbau eine Einzelkämpfermentalität bei Lehrern und Lehrerinnen gefördert. Als letztes Glied in der hierarchischen Kette hatten sie weisungsgebunden einen vorgeschriebenen Stoffkanon abzuarbeiten und die Ergebnisse zu verantworten. Dabei nötigte und ermöglichte dieses System ihnen, für sich individuelle Lösungen zu entwickeln, um mit den Anforderungen und zunehmend auch Disziplinproblemen fertig zu werden. "Machen Sie Ihre Klassenzimmertüre zu und behalten Sie Ihre Schwierigkeiten für sich", bekam ich als junge Lehrerin in den siebziger Jahren von einer erfahrenen Kollegin zu hören. Was hinter diesen Türen geschah, interessierte lange Zeit allenfalls die Schulaufsicht, wenn gewisse Vorkommnisse publik wurden.

Im Lauf der Jahre hat sich gewiß einiges geändert, aber nicht grundsätzlich die Mentalität und das Denken der Lehrkräfte, in die sich die Erfahrungen mit dem hierarchischen System eingebrannt haben. Nun können und sollen neue Prozesse und Strukturen der Organisation und Führung in Kooperationen, Projekten, in Netzwerken und in Teamarbeit entwickelt werden. Da aber auch diese neuen Anforderungen "von oben" auf die Schulen zu kommen, lösen sie oft statt Aufbruchstimmung eher Skepsis, Mißtrauen bis Ablehnung und Zynismus aus. Die neuen Anforderungen verlangen streng genommen, eine "Veränderung zweiter Ordnung " einzuleiten, deren Tragweite, so ist zu vermuten, weder die Schulbehörden noch die Schulen wahrgenommen und verstanden haben, denn es fehlt erkennbar an geeigneten Unterstützungssystemen und organisationalen Mustern, Modellen und Verfahrensweisen.

Soweit wir einen Überblick über Ansätze der Schulentwicklung gewinnen konnten, gibt es keinen Ansatz, der explizit und konsequent das bestehende Dilemma der Institution Schule zwischen hierarchischer Struktur und der Anforderung zur Selbstorganisation aufgreift.

Eine Veränderung von Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Handlungsmustern bei laufendem Schulbetrieb muß dem aber Rechnung tragen und geeignete Unterstützung zur Verfügung stellen. Diese sehen wir in den Konzepten und Modellen systemischer Organisationsentwicklung und in einer temporären externen Prozeßbegleitung als Hilfe zur Selbsthilfe. Uns geht es um die Handlungsfähigkeit der Akteure Kollegium und Schulleitung, mittels Schulentwicklung die Voraussetzungen für gute pädagogische Arbeit zu schaffen:
eine Lernende Organisation zur sein.

Der Einsatz dieser Konzepte durch eine systemische Beratung und die Erfahrungen, die alle Beteiligten der Grund- und Hauptschule dabei machen, sind aus den genannten strukturellen Bedingungen der Schule übertragbar und können von anderen Schulen genutzt werden. Die Ergebnisse dieses Prozesses werden wir daher in geeigneter Form dokumentieren und der Robert Bosch Stiftung als Bericht zur Verfügung stellen. Wir sehen in unserer Arbeit eine sinnvolle Ergänzung der bisher von der Robert Bosch Stiftung geförderten, pädagogisch inhaltlichen Schulentwicklungsprojekte wie "Reformzeit", "Verständnisintensives Lernen" oder "Lehrer im Team", die das Dilemma explizit nicht in den Blick nehmen.

Die Situation

Die Grund- und Hauptschule ist eine sogenannte Brennpunktschule mit 401 SchülerInnen, davon 240 mit Migrationshintergrund. Die Grund-, Haupt- und Werkrealschule, die seit 1996 Ganztagsschule ist, beschäftigt 40 Lehrkräfte, einen Schulsozialarbeiter und sechs Freizeitpädagog/Innen, zwei Arbeitskräfte auf der 1-€-Basis. Es wirken Sprachhelferinnen in der Grundschule und etliche Menschen aus Bürgerschaftlichem Engagement mit.

Es wurden in der Vergangenheit verschiedene Anläufe gemacht, Schulentwicklung systematisch zu implementieren. Ansätze, die nach Wahrnehmung und Einschätzung der Leitung und auch der Lehrer, immer wieder stecken geblieben oder versandet sind, sich nicht zu einem die Gesamtorganisation erfassenden und verändernden Prozeß weiterentwickelt haben.

Dennoch sind in den letzten Jahren eine Fülle von Projekten und Aktivitäten auf Initiative der Schulleitung aber auch einzelner Lehrkräfte entwickelt und etabliert worden, so dass neben dem Fachunterricht den SchülerInnen ein breites Angebot für interessengeleitetes Lernen und gezielter Unterstützung in schwierigen Situationen zur Verfügung steht. Auch Angebote für Eltern sind darunter sowie Aktivitäten zur Einbindung der Schule in den Stadtteil.

Dies alles hat die Schule verändert und ihr ein anderes Profil gegeben. Ein Profil, dass im Kollegium aber nicht von allen als gemeinsames geteilt wird. Festgestellt wird von Schulleitung wie Lehrkräften eine große Unzufriedenheit darüber,

  • daß einmal getroffene, gemeinsame Beschlüsse individuell nicht umgesetzt werden,
  • daß Aktivitäten keinen für alle erkennbaren befriedigenden Abschluß finden, `Lose Enden´ entstehen,
  • mit dem Gefühl zu leben, immer wieder von vorn beginnen zu müssen, aber auch ständig mit Neuem konfrontiert zu sein,
  • daß in Teilen des Kollegiums das Denken vorherrscht "Ich und meine Klasse" statt "wir und unsere Schüler", dh. die Sicht auf die Gesamtorganisation der Schule zugunsten der Einzelperspektive auf den je eigenen Verantwortungsbereich vernachlässigt wird.

Einige fühlen sich überfordert, manche unter Druck gesetzt, für viele mangelt es an Überblick und Transparenz. Information und Kommunikation über neue Projekte sind entweder nicht ausreichend oder werden nicht so wahrgenommen, dass sie in das jeweils eigene individuelle Bild der Schule integriert werden können. So entsteht für den Einzelnen ein disparates Bild dessen, was an der Burgschule geschieht und was der eigene Anteil daran ist oder sein könnte.

Die Unzufriedenheit speist sich wesentlich aus der Schwierigkeit im Umgang mit der die Hetoregenität und Eigenwilligkeit der Persönlichkeiten im Kollegium und deren Einzelkämpfermentalität. Sie wird erhalten, weil die strukturellen und organisationalen Voraussetzungen für die eigene Arbeit nicht ausreichend reflektiert werden und mangels geeigneter, wie wir meinen, systemischer Konzepte und methodischer Verfahren nicht reflektiert werden können: Gegenüber der eigenen Handlungs- und Operationslogik ist ein soziales System ohne hinreichende Selbstbeobachtung und – reflektion blind.

Wir stellen fest: Die Heterogenität und Eigenwilligkeit der Persönlichkeiten im Kollegium ist ein Problem und doch zugleich eine der wichtigsten Ressourcen, über die eine Schule verfügt. Sie gilt es, für den Schulentwicklungsprozeß zu stärken und zu fördern. Gleichzeitig gilt es aber auch, die Individualisierung als Rückzug auf das eigene Tun zu durchbrechen und den Einzelinteressen innerhalb der Gesamtorganisation andere Möglichkeiten der Vernetzung und Kooperationen zu bieten.

Grund- und Hauptschule – eine Lernende Organisation

Wenn man mit der Grund- und Hauptschule in Kontakt kommt, wie ich im Herbst letzten Jahres, so findet man eine Schule vor, die, wie schon erwähnt, sehr vielfältige Initiativen und Projekte in den letzten Jahren entwickelt hat und betreibt. Die Schule wirkt offen und zeigt – obwohl als sogenannte Brennpunktschule ausgewiesen – einen freundlichen, normal disziplinierten Umgang der Schüler und Lehrer untereinander. Natürlich gibt es Probleme und es gibt, individuell unterschiedlich ausgeprägt, die oben beschriebene Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation, die aus den genannten Gründen als Stagnation begriffen wird.

Meine Aufgabe war es, einen Pädagogischen Tag zur IST-Analyse vorzubereiten, durchzuführen und Auswertung wie erste Weiterarbeit zu begleiten. Auf der Basis der hier

gewonnenen Ergebnisse und Erfahrungen läßt sich aus dieser punktuellen Außensicht folgende Situation der Schule beschreiben:

  • Die Schuleist bereits eine Lernende Organisation, ist sich dessen aber nicht bewusst. Ihr fehlt es an Konzepten und Modellen (selbststeuernder) Lernender Organisationen mit denen sie die neuen Erfahrungen darstellen, kommunizieren und reflektieren kann.
  • Sie verfügt über ein großes Potential heterogener, vielfältiger Kompetenzen, Ideen und auch Engagements, kann dieses aber noch nicht so strukturieren und präsentieren, dass eine Teilhabe aller möglich ist und eine Sicht auf das Gesamte ermöglicht.
  • Es sind bei einzelnen Lehrern und Lehrergruppen Initiativen zur Netzwerkbildung und Selbstorganisation festzustellen, mit guten Ergebnissen und Erfahrungen, aber auch hier könnten/müßten nachhaltigere Strukturen, Formen oder Muster entwickelt werden, die die Ergebnisse für alle, Lehrer wie Schüler, erfahrbar und kommunizierbar machen.
  • Sicht- und Verhaltensweisen im Kollegium zeigen, dass die hierarchischen Strukturen weiterhin mit allen, auch negativen Konsequenzen wie bspw. latentes Mißtrauen, Gerüchtebildung, Konkurrenz- und Machtspiele, etc. wirksam sind.
  • Die Unzufriedenheit und das Leiden an diesem Mangel haben einen Grad erreicht, der das Veränderungsengagement (in Teilgruppen) stärkt.
  • Der Veränderungsprozeß weist ungleichzeitige und unterschiedliche Entwicklungsstände und -niveaus aus, denen Rechnung zu tragen ist, um die notwendige Beteiligung Aller im Kollegium zu erreichen.
  • Im Vordergrund des Interesses stand während des Pädagogischen Tages und steht noch heute, gute Beziehungen untereinander zu pflegen, sich offen und mit Respekt begegnen zu können, in Disziplinarfragen (Klassenbucheinträge und Folgen) einheitliche Regelungen zu finden, aber auch die Freiheit für individuelle pädagogische Entscheidungen und Lösungen zu haben.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der von allen geteilte Eindruck der `Losen Enden´ eine gute Metapher für die Beschreibung der Situation einer Organisation ist, die sich als lernende, als in Bewegung befindliche Organisation schwer tut, sich ihres Tuns immer wieder selbst bewußt zu machen und sich ihrer Ressourcen und Potentiale zu vergewissern.

Wie aus `Losen Enden´ ein Ganzes werden kann

Der Wunsch, Schulentwicklung als systematischen Prozeß zu initiieren und implementieren, kann aus systemischer Sicht nur heißen, die Fähigkeiten Einzelner, Gruppen und sukzessive der Gesamtorganisation zur (Selbst-) Reflexion systematisch zu entwickeln.

Dabei spielen die Beziehungen der Beteiligten, die Beziehungs- und Kommunikationskultur eine wichtige, den Prozeß vorantreibende Rolle. Zum jetzigen Zeitpunkt sind vor allem die folgenden vier Punkte in diesem Prozeß zu berücksichtigen und pragmatisch zur Realisation zu verhelfen:

  • Die LehrerInnen mit ihrer eigenen, individuellen Expertenschaft als Akteure der Entwicklung ernst nehmen und wertschätzen, inklusive ihrer Unzulänglichkeiten und Fehler.
  • Die vorhandene Vielfalt der Persönlichkeiten und Kompetenzen nicht in einen einheitlich gedachten Entwicklungsprozess zwingen, sondern diesen als einen Prozess ungleichzeitig verlaufender Entwicklungen zu begreifen.
  • Elemente in der bestehenden Organisationskultur, die geeignet sind, Verbundenheit der Einzelnen mit dem Ganzen herzustellen, latentes Veränderungspotential aufgreifen und mit Blick auf eine mögliche gemeinsame, d.h. für die Beteiligten im System sinnhafte Visions – oder Profilbildung verstärken und aufwerten.
  • Ein System der Führung entwickeln, das in der Lage ist, Selbstorganisationsprozesse zu sehen, zu verstehen, zu unterstützen, zu moderieren und kommunikativ der Wahrnehmung und Reflexion aller zugänglich zu machen (dafür geeignete Strukturen, Formen, Rituale, "Meilensteine", Feedbackschleifen entwickeln etc).

Diese vier Punkte haben einen engen Bezug zu den pädagogischen Konzepten, wie wir sie inzwischen bspw. aus Finnland, Schweden oder Italien ("Reggio-Pädagogik") kennen . Als wesentliche Elemente daraus nennen wir beispielhaft in Kürze: Akzeptanz von Individualität und Eigensinn und unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten des Lernens; Lernen in heterogenen Gruppen; Priorität von Bildung und Persönlichkeitsentwicklung; kontinuierliche Untersuchung und Reflexion des eigenen Tuns als Beobachtung, Dokumentation und Präsentation; offene, ständig ändernde Gestaltung der Prozesse mit Mut zu Unsicherheiten und Fehlern.

Wenn Lehrkräfte in diesem Sinne Bildungs- und Erziehungsarbeit leisten sollen, müssen sie selber einen offenen Rahmen haben, der ihnen eigenverantwortliches und interessengeleitetes Handeln ermöglicht, in dem sie ihre Fähigkeiten entwickeln und diese Arbeit individuell und gemeinsam mit anderen organisieren können. Die Chancen dafür stehen in der Burgschule gut. Der Aufbruch ist da, wenn auch labil, weil negative Erfahrungen aus der Vergangenheit immer wieder den Blick verengen, die Entwicklung anderer Muster der Wahrnehmung und Reflexion ausbremsen. Die Schulleitung ist engagiert und an der weiteren Entwicklung der Schule mit neue Projekten und Vorhaben im Interesse der Schüler ausgerichtet. Damit ist sie im Kollegium aber auch als "Treiber" einer Entwicklung identifiziert, die aus den genannten Gründen nicht alle teilen. Verstehen lässt sich das nur, wenn man die Wirksamkeit der hierarchischen Muster ebenso ernst nimmt wie den angesprochenen Mangel an geeigneten, die tatsächliche Entwicklung abbildenden Mustern.

Um den begonnen Weg fortzusetzen, das vorhandene Veränderungsengagement nutzen zu können und nicht erneut in den alten Trott zu verfallen, ist die Schule temporär auf weitere Unterstützung durch systemische Organisationsberatung (Prozessbegleitung) als Hilfe zur Selbsthilfe angewiesen.

 

Das Konzept der Schulentwicklung als Prozeß systemischer Organisationsentwicklung

Für eine qualitative Veränderung, wie sie der Systemwechsel von der Hierarchie zu Projekt- und neuen Netzwerkstrukturen erfordert, braucht es eine starke Motivation der Beteiligten
(= Interessen, Emotionen, Beziehungen), aber auch die Fähigkeit zur Distanzierung
(= Reflexion, Evaluation, Professionalisierung).

In einer pädagogischen Expertenorganisation – wie oben beschrieben – ist es nicht möglich, eine systematische, kongruente Entwicklungsplanung und Entwicklung aufzusetzen, es sei denn um den Preis neuer Strategien des Unterlaufens Einzelner oder Gruppen. Um das vorhandene Veränderungspotential sinnhaft und bewußt (rational und emotional) erfahrbar und zunehmend für alle Beteiligten verfügbar zu machen, gilt es, laufende Prozesse und Aktivitäten zu beobachten, zu benennen und zu präsentieren und so der Reflexion zugänglich zu machen. Das Beobachten, Benennen, Präsentieren und Reflektieren von Aktivitäten jedoch kann systematisch geplant werden.

Die Leitung hat dabei die Rolle des Ermöglichens und kritischen Förderns. Sie kann bspw. Anlässe oder Projekte initiieren, in denen Einzelne oder Gruppen punktuell ihre Aktivitäten präsentieren und der Reflexion innerhalb der Teilsysteme etwa der Grund- oder der Hauptschule oder auch auf der Gesamtlehrerkonferenz zugänglich machen. Sie kann auf den Reflexionsprozeß im Sinne eines Vorbildes Einfluß nehmen, etwa durch die Art, wie sie fragt (auch sich selbst hinterfragt), wie sie Antworten strukturiert, wie sie moderiert und Feedback gibt. Sie kann sich Ziele setzen und, ohne sich starr festzulegen, eine Strategie dazu entwickeln, wie, mit welchen Aktivitäten und Personen sie den Reflexions- (Professionalisierungs-) Prozeß beginnt und übers Schuljahr fortführt. Selbstredend ist auch dieses ein eigenes "Leitungsprojekt" und wird kontinuierlich auf Eignung und Wirkung hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert werden müssen.

Dies erfordert von den (Leitungs-) Personen u.a. die Klärung oder die Korrektur der bisher eingenommenen Rolle, eine Entwicklung der Orientierung und der Fähigkeiten für eine Arbeit "am System" statt "im System", eine kontinuierliche Überprüfung der eigenen Ziele und Interessen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung oder Diskrepanz mit den Interessen von KollegInnen und denen der Gesamtorganisation sowie eine Verantwortung zeigende, offene Kommunikation, auch in strittigen, widersprüchlichen Punkten.

Mit systemischer Prozessbegleitung durch externe Beratung für Organisationsentwicklung wird dieser Prozeß effektiver und im Blick auf die Ergebnisse effizienter. Abgesehen von einer professionellen neutralen Sichtweise auf das Gesamtsystem und seine heterogenen Teile, repräsentiert das Beratersystem idealerweise Möglichkeiten zur Distanzierung, etwa durch die Art des Fragens und Feedback-gebens. Externe Beratung kann unbefangener "heikle" oder vernachlässigte Situationen zur Sprache bringen und sie in andere Kontexte möglicher Erklärungs- und Definitionsmuster stellen, die der Entwicklung neuer Sichtweisen förderlicher sind. Ihre Arbeitsweise kann modellhaft zum Lernen in der Organisation beitragen, wenn es gelingt, problemfördernde und problemerhaltende Prozesse und Strukturen so zu irritieren, dass Selbstveränderung möglich wird. Sie wird praxisnah und situationsbezogen geeignete Konzepte, Modelle und Muster in den Prozeß einbringen, wenn dies erforderlich ist.

Die ExpertInnen der Entwicklung sind und bleiben jedoch die Akteure, das Lehrerkollegium und die Schulleitung. Sie bleiben in der Verantwortung dafür, welche Themen und Inhalte jeweils relevant sind und Priorität haben, sie benennen, was ihre Probleme sind und sie arbeiten an Lösungen. Verantwortung des Beratersystems heißt demgegenüber, das eigene Vorgehen beständig zu reflektieren und an den Werten systemischer Beratung auszurichten.

Ziele

Die Akteure der Schule, Leitung und Kollegium, professionell darin unterstützen,

  • sich als eine selbst steuernde Lernende Organisation zu begreifen;
  • traditionell hierarchische Strukturen und Sichtweisen zugunsten geeigneter Kooperationen, Projekte und Vernetzungen zu überwinden;
  • Selbst- und Fremd-Evaluation als hilfreiches Instrument der kontinuierlichen Verbesserung pädagogischer Arbeit zu erfahren und
  • ein höheres Maß an Selbstbewusstheit, Sicherheit und Zufriedenheit in der pädagogischen Arbeit, als Einzelne und als Kollegium, zu erreichen.

Auf andere Schulen übertragbare Inhalte und Erfahrungen aufbereitet zur Verfügung zu stellen.

Vorgehen

Im Fokus der systemischen Prozeßbegleitung bezogen auf einen Zeitraum von 1 – 1 ½ Jahre stehen:

  1. Entwicklung und Profilierung eines Leitungssystems, das den Anforderungen und Aufgaben einer Lernenden Organisation als ein sich wesentlich selbststeuerndes System, (auch untergliedert in Teilsysteme) gerecht wird. Im einzelnen kann das heißen: Klärung der Rolle, Prüfen und Aneignen von Instrumenten, Formen und Mustern der Führung als Arbeit "am System", Implementieren von Rückkoppelungsschleifen als Prozesse der Reflexion und Evaluation, das Fördern einer Beziehungs-, Gesprächs- und Berichtskultur, das Planen und Umsetzen von Personalentwicklungs- und Unterstützungsmaßnahmen.

    Coaching der Leitung, 10 – 12 Sitzungen
  2. Entwicklung und Profilierung Arbeit der "Steuergruppe" im Sinne eines Modells "Lernende Organisation". Im einzelnen kann das heißen, durch Beobachtung und Feedback Rückkoppelungsschleifen (auch als Gedächtnis oder Erinnerung) zu initiieren und systematisch Nachhaltigkeit zu fördern, die (Projekt-) Vorhaben handwerklich, praktisch zu unterstützen (bspw. Formen für Präsentation, Reflexion, Evaluation), festgefahrene Gespräche in Fluß zu bringen oder Bezüge zu scheinbar Unverbundenem aufzuzeigen, die Kommunikation untereinander und mit dem Kollegium als
    "Beziehungs-, Gesprächs- und Berichtskultur" zu fördern.

    Prozeßbegleitung der Arbeit der Steuergruppe, 10 Sitzungen
  3. Analyse und Evaluation von Wirkungszusammenhängen, den Interdependenzen zwischen Teilsystemen und Gesamtsystem. Im einzelnen kann das heißen, die Identifizierung treibender und hemmender Elemente in der Beziehungs- und Kommunikationskultur (Gespräch und Bericht), in der Zusammenarbeit oder Vernetzung von Vorhaben und Projekten, bei der Implementierung von Rückkoppelungsschleifen.
  4. Beobachtet werden ausgewählter Ereignisse, die repräsentativ für Schulkultur sind: Schülerversammlungen, Gesamtlehrerkonferenz (GLK), Zentrale Veranstaltungen, insbesondere auch mit Eltern

    Teilnehmende systemische Beobachtung und regelmäßiges Feedback an Leitung und Steuergruppe, ca. 5 Tage
  5. Moderation "Pädagogischer Tag"
    Dieser für das spätere Frühjahr 2007 geplante Tag ist thematisch noch offen. Hier sollen die als relevant erachteten Themen aufgegriffen, die sich aus dem Verlauf der inhaltlichen Arbeit von Steuergruppe und Schulleitung ergeben. (Finanzierung über Schulbehörde)

 

Exkurs: Über die Möglichkeit von Interventionen in soziale, komplexe Systeme

Soziale Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich gegenüber ihrer Umwelt operativ geschlossen, selbstreferentiell und strukturdeterminiert verhalten. Sie gleichen einer Black Box, ihre Handlungs- und Operationslogik ist dem externen Beobachter wie der Selbstbeobachtung durch das System selbst "auf den ersten Blick" verschlossen.

Auch der Beobachter/Berater (Beratersystem) agiert selbstreferentiell, operativ geschlossen und strukturdeterminiert.

Was vom jeweiligen System im Sinne der Selbst- oder Fremdbeobachtung beobachtet werden kann, ist bedingt durch die jeweilige (kognitive) Struktur, die das System auszeichnet und befähigt. Soziale Systeme beobachten heißt, die Kommunikation als spezifische, die Organisation konstituierende Handlung als Tun zu beobachten. Beobachtet man dieses Tun, so wird die Black Box in Form von Prozessen und Strukturen transparenter. Beobachtet wird nun, was geschieht, welche Ereignisse stattfinden, welche Prozesse und Strukturen genutzt werden (Beobachtung erster Ordnung). Beobachtet wird aber noch nicht, wie etwas geschieht, wie es bspw. zu einer wahrnehmbaren Unterscheidung zwischen Ereignissen kommt (Beobachtung zweiter Ordnung). Erst dann können die Funktionen der Prozesse und Strukturen erkannt werden, mit denen das System sich selbst, seinen Eigenwert und seine Identität, letztlich seinen Sinn aber auch seine Probleme permanent generiert und produziert.

Wenn Beratersystem und Klientensystem aufeinander treffen, begegnen sich zunächst zwei Blinde, Nicht-Wissende, die darauf angewiesen sind, sich gegenseitig in ihrem Tun zu beobachten, um sukzessive voneinander zu erfahren, welche Ereignisse für das System, seinen Eigenwert und seine Identität, sinnhaft (in Bezug zu seinen Problemen auch schmerzhaft)und deswegen für Veränderungen förderlich sind. Das setzt beim Klientensystem voraus, dass es sich durch Interventionen von außen in seiner Selbstbezüglichkeit stören lassen will.

Ziel einer Intervention in soziale (komplexe) Systeme ist das Bewirken eines bedeutsamen Unterschiedes, indem das System eine andere Entwicklung einschlägt, als es ohne Intervention eingeschlagen respektive beibehalten hätte. Dieser Unterschied kann als die Lösung eines Problems gelten.

Nun sind in sozialen Systemen die Wirkungsverläufe zwischen einer Intervention (In-put) und einem Ergebnis (Out-put) nicht nur nicht-linear, sondern eher vernetzt und zirkulär verlaufend, sich wechselseitig beeinflussend. Aus diesem Grund sind Zustandsänderungen im System im Voraus weder qualifizierbar noch lokalisierbar, sondern erst im Nachhinein erschließbar. Es gilt daher die folgende Annahme, je konkreter die Zielvorstellungen des Intervenierenden im Sinne von Veränderungsabsichten und je instruktiver die Interventionen sind, um so unwahrscheinlicher ist der Erfolg einer Intervention als gelingende, d.h. problemlösend.

Dennoch sind Interventionen systemischer Beratung kein Glücksspiel mit zufälligen Ergebnissen. Statt instruktiver Interventionen mit konkreten Verhaltens- oder Veränderungsvorgaben und Absichten, konzentriert sich systemische Beratung auf Interventionen, die zur Selbstbeobachtung und Reflexion anleiten, dh. das System wird zu einem Beobachter zweiter Ordnung. Das eröffnet die Möglichkeit zu sehen, dass man die Dinge und das eigene Tun auch anders sehen kann, als zuvor. Dieses impliziert, wenn es als sinnhaft erlebt wird, eine Veränderung des Selbstbildes, die in der Regel eine Veränderung von Prozessen und Strukturen nach sich zieht.

Prozeßbegleitung heißt, dazu effektiv beitragen, dass das System durch Selbstbeobachtung und Reflexion lernt, sich und seine Handlungslogik zu verstehen und damit die Chance bekommt, sich selbst zu verändern.

Dem intervenierenden Beratersystem stehen dafür Erkenntnisse und Ergebnisse aus systemischer Theorie und Forschung zur Verfügung, als auch ein methodologisches Setting von Annahmen, Wertvorstellungen, Methoden und Instrumente, mit denen es sein diagnostisch- beobachtendes und intervenierendes Handeln im Interesse einer gelingenden Intervention steuert. Einige der wesentlichen Paradigma systemischer Beratung sind im Folgenden benannt.

Der Berater / die Beraterin sollte über ein klares Selbstbild des eigenen Handelns, über das ihn oder sie leitende beraterische Selbstverständnis (Rolle) und seine / ihre Haltung im Sinne systemischer Wertvorstellungen verfügen. Zum Wertekanon systemischer Beratung gehören der Respekt vor der Autonomie des Klientensystems, eine Konsens herstellende Arbeitsbeziehung mit den beteiligten Akteuren sowie die Wahrung von Neutralität und Distanz (auch Absichtslosigkeit) und schließlich die Übernahme der Verantwortung für das eigene Beratungshandeln.

Dazu gehört, sich selbst als Intervention in soziale Systeme beobachten und reflektieren. Die Intervention beginnt bereits mit der puren Anwesenheit und der Beobachtung im Klientensystem. Ein Beratersystem kann nicht nicht intervenieren. Gegebenenfalls wird zur Qualifizierung der eigenen Selbstbeobachtung und Reflektion eine Supervision in Anspruch genommen. Auch das Beratersystem ist als Nicht – Wissendes ein beständig Lernendes System.

Voraussetzungen für gelingende Interventionen sind u.a.

  • ein erhöhter Leidensdruck im Klientensystem, der die Veränderungsbereitschaft und damit die Bereitschaft, sich durch Interventionen von außen stören zu lassen, erhöht;
  • das Vorhandensein oder Aufdecken von Veränderungsperspektiven;
  • "sensible Punkte" des Klientensystems, über die ein System zugänglich und für Interventionen erreichbar ist, diagnostisch ermitteln;
  • die blinden Flecke der Selbstbeobachtung im Klientensystem bspw. über die Differenz der Fremdbeobachtung des Beratersystems zugänglich machen;
  • die Chance zur Veränderung des Selbstbildes über ein "neues" Sehen, das sich durch Beobachtung und Reflexion des eigenen Tuns erschließt;
  • die Handlungs- und Operationslogik des Systems über die Funktion und damit Sinnhaftigkeit seiner Prozesse und Strukturen für den Eigenwert und die Identität des Systems diagnostisch erschließen;
  • die Fähigkeit des Beratersystems, kommunikativ vermittelnd an die spezifische kontextabhängige Semantik des Klientensystems "anzuschließen";

Zusammengefaßt: Eine Intervention, die in sozialen Systemen gezielt und instruktiv Veränderung anstrebt, wird, wenn sie nicht ganz scheitert, allenfalls eine Änderung in der Oberflächenstruktur bewirken. Diese aber ist in der Regel nicht nachhaltig ohne eine Änderung der Tiefenstruktur, nämlich der basalen (Meta-)Strukturen, die letztendlich das Selbstbild, die Sinnhaftigkeit, nach der das System operiert, bestimmen.

Pädagogische Einrichtungen wie Schulen sind hoch komplexe soziale Systeme untergliedert in viele, auch in den Anforderungen, unterschiedliche Teilsysteme. Sie sind, um ihrer pädagogischen Aufgabe gerecht zu werden, auf ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der LehrerInnen und PädagogInnen angewiesen sowie auf flexible, an den jeweiligen Erfordernissen und Aufgaben ausgerichtete Prozesse und Strukturen. Das schafft ein hohes Maß an Unübersichtlichkeit und latent bleibender Unsicherheit bei den Akteuren, die es aber auszuhalten gilt. Dieses Aushalten als Grad der Freiheit positiv nutzen können, ist eine Frage der mentalen (und emotionalen) Verarbeitung. Die Schule ist aber geprägt durch die hierarchische Struktur und ausgerichtet auf Disziplin und Kontrolle. Diese verfolgen das Interesse, die der pädagogischen Arbeit innewohnende latente Ungewißheit in Gewißheiten zu überführen, strukturell zu domestizieren, sie in den Griff zu bekommen. Dies jedoch steht pädagogischer Arbeit diametral gegenüber und erzeugt Druck, Spannung oder Lähmung und Resignation.

Unter diesen Voraussetzungen ist die Wahrnehmung der neuen Anforderungen und hier insbesondere der Evaluation und Selbstevaluation bereits als andere Form der Disziplin(ierung) und Kontrolle negativ besetzt. Sie können erst als hilfreiche Instrumente einer professionellen, lernenden Schulentwicklung positiv genutzt werden, wenn die bisherigen basalen Metastrukturen einer hierarchischen Sichtweise durch andere ersetzt werden können. Dies kann unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei hohem Druck und gegebenen Veränderungsperspektiven als "Sprung" von dem alten Selbstbild zu einem neuen und von allen gefühlt adäquateren Selbstbild geschehen. Hier würden sich dann nachfolgend Prozesse und Strukturen ändern. Dies kann aber auch über eine zunehmend systematisierte (Selbst-) Reflexion des eigenen Tuns und der Arbeit an Prozessen und Strukturen geschehen, die schlußendlich auch ein neues adäquates Selbstbild hervorbringen.

Den Menschen als Akteure dieses Prozesses und die Gestaltung ihrer (Gefühls- und Arbeits-) Beziehungen kommt darin eine wichtige Funktion als Prozeßtreiber und Prozeßsteuerung zu (Motivation, Balance zwischen Kontingenz und Relativierung von Kontingenz durch Entscheidungen). Sie sind daher nicht nur inhaltlich und fachlich, sondern auch hinsichtlich der Prozeß- und Strukturbildung ihrer Organisation die Experten der Veränderung.